aus der Reihe: Böttinger & Staudenmüller

Verzichten

„Sie wollte unbedingt, dass wir da zusammen hingehen“, erklärte Böttinger Reinhold Staudenmüller. Mit „sie“ meinte er seine Frau. Staudenmüller fragte nicht nach, denn er wusste, dass Böttinger ihm auch so die ganze Geschichte – ob sie ihn nun interessierte oder nicht – erzählen würde.

„Workshop verzichten … Volkshochschule“, begann Böttinger, wie Staudenmüller vorhergesehen hatte. „Erster Abend mit den Schwerpunkten: Wir lernen zu verzichten, gemeinsam verzichten – ein Erfahrungsaustausch im Kreisgespräch mit Kennenlernspiel“… „Ach, das gibt es immer noch“, unterbrach Staudenmüller und erinnerte sich an Seminare der Siebzigerjahre und daran, dass ihm diese Art von Gruppendynamik mit fremden Leuten schon immer zuwider war. In diesem Zusammenhang musste die Umformung seines Vornamens Reinhold in „Unhold“ kreiert worden sein. Am zweiten Abend sollte dann das Verlieren als Variation des Verzichtens erarbeitet werden: Wir verlieren etwas und suchen nicht danach, verbunden mit einer Feldübung „Bewusstes Verlieren: Wir werfen einen 50-Euroschein in einen Gully“. Anschließend war dann geplant,  den Trennungsschmerz gemeinsam zu bewältigen. Ein dritter Abend und ein Wochenendkompaktseminar sollten die Thematik abrunden.

Böttinger hatte sehr schnell gelernt, schneller als Staudenmüller ihm das jemals zugetraut hätte. Er verzichtete ( und er ließ dieses Wort sichtlich auf der Zunge zergehen) nach dem ersten Abend darauf, die folgenden Veranstaltungen zu besuchen. Außerdem, und das wog noch schwerer, verzichtete er darauf, die Gebühr zu entrichten. Staudenmüller wiederum verzichtete darauf, Böttinger nach der Reaktion seiner Frau zu fragen. (©H.B. 10/2004)