Publizieren

„Publizieren“ anklicken ist der letzte Schritt, den Blog der Öffentlichkeit hinzuwerfen. So ihn die Öffentlichkeit überhaupt entdeckt im riesigen Meer der Internettagebücher. Mehr und absolut Erstaunliches haben die Forscher des Census Of Marine Life (coml.org) an die Wasseroberfläche befördert, während zeitgleich die Katastrophen über dem Meer auf der Insel Haiti bereits wieder aus den Schlagzeilen verschwunden sind.

Inzwischen hat der Donnerstag wieder 576 g „Zeit“ inklusive Magazin in den Briefkasten befördert, wo ich doch die vorige Ausgabe wieder nicht gründlich gelesen hatte  . Margot Käßmann (deren Namen immer noch viele wie Kessmann aussprechen) hat sich einmal mehr als „ganz normalen Menschen“ vorgestellt, der sich scheiden lässt, seinen Krebs öffentlich macht und nun, wie so viele andere, eben auch ein Alkoholproblem hat. Aber wollen wir das alles überhaupt so detailliert wissen? Mit Alkoholexzessen und Ekelritualen ist die Bundeswehr mit von der Partie, Tatsache, auch wenn die Obermilitaristen dies immer noch abstreiten („Die Bundeswehr hat heutzutage kein Alkoholproblem“, meint Wilfried Stolze), obwohl jeder, der beim Bund war, das Alkoholproblem bezeugen kann.  Missbrauch hätte die Chance, jetzt schon im noch jungen Jahr, zum Wort des Jahres gekürt zu werden. Die katholische Kirche steuert – weniger mit der Tatsache des Missbrauchs an Schutzbefohlenen an sich als mit dem unsäglichen Nicht-Umgang damit – ihren Anteil bei, die FDP mit unsensiblen und herabwürdigenden Aussagen über Menschen vom Rand der Gesellschaft. Die ach so edle Opposition kritisiert Dinge, die sie einst selbst mit auf den Weg gebracht hatte , hat somit den Anspruch als Moralhüter verwirkt. Rüttgers „Sponsorengespräche“ gehören ebenso in die Gattung „den Staat kauf‘ ich mir“. Und dann lese ich in einer BILD-Werbung in der ZEIT (!!!), dass sich Wolfgang Joop, wie vorher schon andere Promis (über Udo Lindenbergs Statement in dieser Serie hatte ich mich schon früher aufgeregt) missbrauchen lässt, dieses Blatt zu hofieren (handschriftlich mit Zeichnung):

„Bild ist „camp“. Übersetzt heißt das, man hat einen eigen Stil. Einen , der polarisiert. Mal ist man „under the top“, mal „over the top“. Meist aber ist man einfach geradeaus! Hauptsache: nicht langweilig oder angepasst! „Bild“ gibt meinem Affen täglich sein Stück Zucker!“

Wenn also der „eigene Stil“, „geradeaus“ zu sein und „nicht langweilig oder angepasst“ Kriterien sind, dem „Affen täglich ein Stück Zucker“ zu geben, dann wird Missbrauch in jeglicher Form zu einem gesellschaftlichen Wert stilisiert. Da wäre es nur folgerichtig, eine Fernsehgala zur Wahl der jährlichen „Miss Brauch“ (unabhängig vom Geschlecht) zu kreieren. Eine hohe Einschaltqote wäre garantiert. (H.B.)