Geht bloß wählen, …

… sonst hört der Wahlk(r)ampf überhaupt nicht mehr auf! Allein die Tatsache, dass Geld für Millionen von Plakaten, Aufträge an Werbeagenturen (es sei ihnen gegönnt, dass sie was verdienen können) und unendliche Werbespots ausgegeben wird, halte ich für dringend reformbedürftig: Wie sieht uns eigentlich die Politik, wenn sie meint, ihre Arbeit vor und nach Wahlen einstellen zu müssen, um uns Wählerinnen und Wählern ihr „positives Tun“, „Wahlkampf“ genannt, darlegen zu müssen?! Und am Wahlsonntag wird dann das Ganze, auf zwei öffentlich-rechtliche Sender verteilt – gleichzeitig! – nochmals stundenlang durchgekaut, garniert mit Fragestellungen, die jedem sprachliebenden Menschen das Fremdschämen ins Gesicht treibt. Nach dem Verursacherprinzip vermute ich stark die Verantwortlichen für die immer weiter ansteigende Anzahl von Nichtwählerinnen und Nichtwählern in der Politik selbst. Aber Selbstkritik wird man vergebens suchen. Und falls es jemand wissen will, ich habe trotzdem (Brief-)gewählt.

 

Die Wahl auf schwäbisch

Neues aus Leimerstetten. Genau so wird es dann ab Montag laufen, unabhängig vom Wahlausgang. Und trotzdem sich da noch die B-Zeitung in letzter Sekunde mit unangekündigten 41 Millionen Freiexemplaren (sonst hätten’s wieder ein paar „Uneinsichtige“ abgelehnt!?) in dummdreistem Befehlston („Prost Wahlzeit! Ab ins Wahl-Lokal! Ran an die Urne Eintritt ist frei! Je mehr Prozent, desto besser! So jung wählen wir nie wieder zusammen! Auf einem Kreuz kann man nicht stehen! Wer nicht wählt, wird Wirt! (…)“) zum Bundesfeldwebel aufschwingt (und weiterhin auch von ernst zu nehmenden Politikern hofiert werden wird) oder Anzeigen mit Unterstützerunterschriften erscheinen (Was soll mir das sagen? Brauche ich dauernd von allen Seiten Besserwisser, die mir sagen, was ich tun soll? Nein!) oder Karikaturist (?) Klaus Stuttmann Wahlverweigerer zu undankbaren Diktatorensympathisanten stempelt, bestätigt nur, dass es gar nicht um Inhalte geht. Der Ton, Kritikern gegenüber wird immer rauer, zuletzt in der Sendung ZDF log in. Vor vielen Jahren kam ein Dokumentarspielfilm, der von einem Szenario ausging, dass sich bei den ersten Hochrechnungen herausstellte, dass nur fünf Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl gegangen waren und nun versucht wird, diesen Ausgang zu vertuschen. Immerhin, und das ist bedenklich, aber Realität, ist die Zahl der Nichtwähler kontinuierlich gestiegen, sicherlich auch ein Ausdruck von Politikverdrossenheit. Ein gutes Wahlversprechen wäre für mich, ernst zu nehmende Schritte zu unternehmen, die Ursachen für Wahlverweigerung anzugehen, nicht die Nichtwähler zu verunglimpfen. Das hieße für Politiker, laut nachzudenken, wie Demokratie weiterentwickelt werden muss. Und das ist nicht damit getan, zur Wahl irgendeiner Partei aufzurufen, die sich für Volksabstimmung einsetzt. Nützt das alles nichts, hilft vielleicht Bert Brechts Gedicht Die Lösung weiter:

 

„Die Lösung

Nach dem Aufstand des 17. Juni

Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands

In der Stalinallee Flugblätter verteilen

Auf denen zu lesen war, daß das Volk

Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe

Und es nur durch verdoppelte Arbeit

zurückerobern könne. Wäre es da

Nicht doch einfacher, die Regierung

Löste das Volk auf und

Wählte ein anderes?“

 

 

Reihe: Letzte Aufdringlichkeiten (4)

Zeichnung: V. Onmir (nicht wählbar), Rabenkalenderrückseite 16.9.2013

Es ist auch ein Gewürge, beziehungsweise das Gegenteil, was da im Enddarmbereich des Wahlkampfes noch alles über den sogenannten „Souverän“ hereinbricht. Viele ernst zu nehmende Kommentatoren machen sich Gedanken zur „Kwahl„, wie zum Beispiel Cajo Kutzbach. Doch die Ratlosigkeit bleibt. Immerhin werden die Nichtwähler inzwischen differenzierter betrachtet. Immerhin sind sie inzwischen die größte Wählergruppe, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Alle kommen und wollen deine Stimme. Soll ich sie hergeben? Soll ich sie behalten? Bin ich stimmlos, wenn ich sie hergebe? Spätestens am Montag will sie bis in vier Jahren keiner mehr. Wen ich wähle, ist egal, Hauptsache, ich trenne mich von meiner Stimme. Da wird schlechtes Gewissen gemacht („Millionen können nicht wählen“). Das halte ich mit unserer Situation für nicht vergleichbar. Wer regt sich nicht täglich über nicht vorhandene oder das schleppende Vorwärtskommen in vielen politischen Bereich auf. Das ist nicht Wahlkampfthema. Überhaupt: Wieso überhaupt ein „Wahlkampf“, der mit seinen teuren Wahlplakaten mir zu verstehen gibt, für wie blöd er mich hält? Oder dieses Bild aus der Südwestpresse: Kann man die Wahlmöglichkeiten besser symbolisieren? Das ist doch peinlich! Der Bundespräsident gibt den Ratschlag, dann halt notfalls „den weniger Schlechten zu wählen“. Oberbürgermeisterin Bosch in Reutlingen mahnt die „Bürgerpflicht“ an, wählen zu gehen. Absprachen über Stimmabgaben in Stuttgart führen das „Wählen“ ad Absurdum. Täglich darf in den Reutlinger Nachrichten ein junger Mensch bekennen, warum er wählen geht. Ich benöte nicht diese oberlehrerhafte Bevormundung! Und jetzt?