Wie lange noch?

Albstraße Reutlingen

Im roten Haus mit Erker, dessen Werbung für einen Telefonladen auch nicht mehr aktuell ist, war in den Siebzigerjahren das Schreibwarengeschäft Nesper. In einem schmalen Gang türmten sich bis zur hohen Decke Regale und Schubladenschränke. Dort fand man alles, was für Büro, Schule und Kunst benötigt wurde. Erstaunlich auch die „Ortskenntnis“ des Verkaufspersonals, das jede Ware schnell und zielsicher auf den Ladentisch brachte. Die Frage ist, wie lange die alten Häuser noch überleben dürfen, bevor sie einer weiteren ideenlos gebauten Einheits-Schuhschachtel zum Opfer fallen?

Rathausneubau Pfullingen

110 Architekturbüros hatten sich beworben, 15 kamen in die engere Auswahl. Natürlich waren auch wieder etliche „Schuhschachtel-Entwürfe“ dabei, Entwürfe, die in letzter Zeit fast überall, bar jeglichen Umgebungsbezuges zu ihrem Umfeld, platziert werden.

Dazu im Gegensatz hatte es das Büro Eberhard Wurst, dessen Entwurf den Wettbewerb gewann, verstanden, ganz im Sinne Theodor Fischers, von dem in Pfullingen u.a. die Pfullinger Hallen und der Schönbergturm zu bewundern sind, Bezug auf „Umgebung, Geschichte und Landschaft“ zu nehmen.

Der Hauptzugang zu den nun verbundenen Rathäusern wird über einen Verbindungsgang gelöst, der kurze Wege zwischen zwei Straßen und dem Parkplatz schafft und mit seinen Torbögen Bildbezüge zu den Toren des Altbaus herstellt. In einem Begleitblatt zum Exposé werden außerdem historische Vergleiche gezeigt, deren Details sich in Fenstern, „Kamin“ (Lichtschacht und Entlüftung) wiederfinden:

Außerdem ist das Problem „Bürgerbüro kontra Bäckerei/Café“ gelöst, indem die Bäckerei an ihrem markplatzseitigen Standort verbleibt und das Bürgerbüro barrierefrei „ums Eck“ seinen Platz findet.Die von vielen Bürgerinnen und Bürgern vor dem zweiten Wahlgang zur Bürgermeisterwahl als „durchgepeitscht“ empfundene Abstimmung im Gemeinderat, das Bürgerbüro in die Bäckerei/Café zu verlegen, hatte in letzter Zeit für großen Unmut gesorgt und über 2000 Unterschriften gegen das Ansinnen erbracht. Bürger/innenbeteiligung ist leider in Pfullingen immer noch ein Thema, das von etlichen Gemeinderäten als Bedrohung empfunden wird. Die Hoffnung, dass es unter dem neuen Bürgermeister Stefan Wörner endlich in die Wachstumsphase kommt, keimt (um im Bild zu bleiben).

Ein Opfer ist allerdings zu beklagen: Das historische Gebäude (rechts im Bild) muss sich in die Pfullinger Abrisstradition einfügen.

Schuhschachteln oder das Zeitalter der Einfallslosigkeit

Vor etwa zwei Jahren erschienen Artikel zur Neubebauung eines innerstädtischen Areals, die schon auf dem Papier den Eindruck erweckten, den guten Architekten fällt nichts mehr ein, als den ehemals revolutionären Bauhausstil zum hunderttausendsten Mal zu reproduzieren.

Eine activ-group hatte dazu erste Bilder veröffentlicht, die das Schlimmste vermuten ließen: „Schuhschachtelarchitektur“, selbst wenn in der Nachbarschaft noch historische Giebelhäuser stehen.

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Man scheint sich dann doch noch zu einem angedeuteten „Giebelvortäuscher“ hinreißen zu lassen, was das Ganze nicht besser macht.

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Auch wenn es sich nicht um ein ganzes Potemkinsches Dorf handelt, so ist das Ansinnen, nämlich mehr zu scheinen als zu sein, im Ansatz erreicht. Abgesehen davon, dass diese Art von Giebel nirgendwo mit historischen korreliert, es ist ein Giebel wie die Fassade vor einem Westernsaloon, der die Bude oder das Zelt dahinter verdeckt. Das wird deutlich beim Betrachten einer Luftaufnahme von Jürgen Herdin: Flachdach bleibt Flachdach! Was soll also der Bluff?

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Ausschnitt

Ausschnitt

Es wäre wünschenswert, die Architekten würden an alte Traditionen anknüpfen und Baukünstlern wie Theodor Fischer nacheifern, der seine Bauten immer in Beziehung zu Stadtbild, Historie, Natur und Umgebung setzte. Dieses Prinzip auf heute zu übertragen hieße, Städtebau so zu entwickeln, dass die Innenstädte von Hamburg, Pfullingen, New York und wo auch immer, sich nicht irgendwann Charakter-los gleichen!