ststs bei Maas

800-img_4862

Die Galerie Reinhold Maas in der Reutlinger Gartenstraße 49 stellt zur Zeit die Künstler ststs, das sind Stef Stagel und Steffen Schlichter
aus.

 

Reinhold Maas begrüßt

Reinhold Maas begrüßt

 

Clemens Ottnad, Geschäftsführer des Künstlerbund Baden-Württemberg e.V. begrüßt.

Clemens Ottnad, Geschäftsführer des Künstlerbund Baden-Württemberg e.V. führt in die Ausstellung ein. Bildmitte: Stef Stagel

 

Besucher

Besucher

 

Blick vom Parkplatz (1)

Blick vom Parkplatz (1)

 

Action

Blick vom Parkplatz (2): Action

 

800-img_4858

Tshirts,, Unikate, Bestandteil des Kunstladen-Galeriekonzeptes

Tshirts, Unikate, Bestandteil des Kunstladen-Galeriekonzeptes

 

Titel auf Acryl, 29x14, signiert

Titel auf Acryl, 29×14, signiert

 

Ein Dank an dieser Stelle an Clemens Ottnad, der mir folgende Einführungsrede zur Veröffentlichung zur Verfügung stellte.

„ststs – Rack 2 – 2016 SHOP

Galerie Reinhold Maas, Reutlingen 27.11.2016 – 07.01.2017

Eröffnung der Ausstellung am Samstag, 26. November 2016, ab 17.00 Uhr

Wie recht sie doch haben: „ststs are f***cking concrete“. Die Frage stellt sich nur, wer ist eigentlich ststs und wenn ja, wie viele ? Ok, da es auf einigen hier im Shop – der Galerie von Reinhold Maas – in den Rack-Regalen präsentierten Objekten heißt „are f***cking concrete“, muss es sich folglich bei deren Hersteller-Akteuren grammatikalisch gesehen um mehrere handeln, wenigstens also zwei. Und ja, wir wissen, hinter dem monogrammen Kürzel mit dem Unterstrich verbirgt sich bekanntermaßen 1. die Künstlerin Stef Stagel und 2. der Künstler Steffen Schlichter, und oder aber 3. das Künstlerpaar (Duo, Gruppe, wie auch immer) ststs. Es existieren demnach je Werke beider, für sich allein arbeitender Künstler sowie die seit dem Jahr 1994 (noch während der Studienzeit an der Stuttgarter Kunstakademie) gemeinschaftlich entwickelten Werke. Und ausgerechnet hier im mit k. und k. konkreter Kunst kontaminierten Reutlingen erscheinen sie in der Tat potenziert f***cking concrete.

Die sagenhafte Büchse der Pandora ist bei den Beiden jedoch zu einem handelsüblichen Abwasserrohr mutiert, als Handelsware Kunst drapiert und dekoriert, und – da an beiden Enden offen – sind alle Übel (einschließlich der bis zuletzt noch darin verbliebenen Hoffnung) längst entwichen. In jedem Falle erscheint aber auch sie etikettiert, mit einem eindeutig zuordenbaren Branding versehen, gewissermaßen als Kunst gebrandmarkt, Product Placement ststs, wie all die anderen prägnant gelabelten T-Shirts, Werbebanner, Editionen, die hier erhältlich sind, postkapitalistischer Agitprop der ganz besonderen Art. Schlüpften wir in sie hinein (nicht in die Rohre, sondern die Baumwollwerbeträger) verwandelten wir uns – wie dies noch jedes Kostüm der Markenwaren zu versprechen weiß – in Living Sculptures, Mischwesen zwischen Kunst, Künstlichkeit und Realität, seligen Angedenkens an den konzeptuellen Stabmenschen André Cadere (1934-1978), der in den 1970er Jahren mit seinen stets mit sich herumgetragenen barres de bois rond im wahrsten Sinn des Wortes die gesamte Kunstwelt subversiv unterwandert hatte.

Und endlich ist es auch in Reutlingen soweit: Shop, shop shop, powershop, Art Powershop! Was kümmert uns denn konsequente Galeriearbeit, wenn wir auch in der Provinz einen Popup Store hier haben können? Eben noch die Schaufensterfassade einer allseits angesagten Location verheißungsvoll verhängt, öffnet nun – Event, Event, ein Lichtlein brennt! – das leicht konsumable Paradies nicht nur den Kunstjüngern kurzzeitig seine Pforten. Statt unmerkbarer Künstlernamen (und davon auch noch zweie) sowie komplex verintellektualisierter Inhalte wird uns schon von Ferne draußen in signalrot riesenhaften Lettern ein einprägsames Kürzel (ststs) um die Augen und den Sinn gehauen, das dann im Inneren anhand der angebotenen Artikel-Exponate unseres Künstlerpaares (marken)mantraartig wiederholt wird. In Analogie zur wahren Welt und Warenwelt – gleichzeitig Ironie und Persiflage derselben – werden Auflagenobjekte als Stapelware wohlfeil geboten, wohingegen Höherpreisiges in den Vitrinen vor dem Zugriff Unbefugter noch geschützt ist und der Herausgabe durch Sachkundige bedarf; wenden Sie sich hierzu an den Besitzer dieses Shops. Lang, lang schon ist dem altbekannten Sparkassen-Jargon hinzuzufügen: „Mein Haus, mein Auto, mein Boot, meine Kunst !“, allein fraglich nur, an welcher Stelle die Kunst für jeden Einzelnen von uns rangieren mag.

In dieser staunenswerten Wunderkammer des Konkreten verbinden sich dabei die für die Einzelkünstlerin Stef Stagel charakteristischen Materialien, wie etwa die industriell gefertigten, vergitterten Baugewebe, mit dem für Steffen Schlichter wiederum typischen Einsatz von Klebebändern. Die künstlerische Kollaboration von ststs betrifft ebenso auf ausgedehnten Reisen gesammelte Architekturfotografien, aus denen Strukturen und Details zu autonomen Bildwerken destilliert werden, wie neonhelle Lichtobjekte oder standbildfixierte Diaschauen, die beispielsweise Samuel Becketts prophetische Weisheit bannen (i.e. der erste Satz seines Romans Murphy aus dem Jahr 1938): „Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf nichts Neues.“. Ganz neu dagegen ist die wunderbare Edition (Siebdruck auf Plexiglas), die eigens zu dieser Ausstellung entstanden ist: man kann sie drehen und wenden, wie man will, Steffen Schlichter und Stef Stagel sind darin unlösbar und allansichtig zu ststs miteinander verschmolzen.

In der Reihe der sogenannten Rack-Ausstellungen hatten ststs bereits in der Vergangenheit an verschiedenen Orten (Berlin, Heilbronn, München u.a.) spezifische Bezüge zu Geschichte, Personen und Funktion des jeweiligen Ausstellungsraumes hergestellt. Die Regal-Module wurden dabei als gestalterische Mittel selbst verwendet, als Hängevorrichtung für Objekte genutzt – von ihren sogenannten Hausgemachten Platten bis hin zu waghalsig verschnürten Monitoren – oder griffen das Wesen quasi-musealer Dokumentationen auf. In der Galerie Reinhold Maas (einem ehemaligen Optikergeschäft übrigens) nehmen sie nun den Charakter eines Ladens – eben eines Shops – an, in dem mit Kunst gehandelt wird (und das ist ebenfalls ja Augenware).

Damit bildet diese von ststs so variantenreich ausgeklügelte Konzeption der Ausstellung den krönenden Abschluss eines landesweiten Kooperationsprojektes des Künstlerbundes Baden-Württemberg mit privaten Galerien in ganz Baden-Württemberg. Unter dem Motto Die Kunst zu handeln nämlich waren seit September diesen Jahres (und sind teilweise noch bis in den Januar 2017 hinein) in 30 ausgewählten Galerien, insgesamt 35 Ausstellungsprojekten sowie weiteren Sonderveranstaltungen, zwischen der Kurpfalz und dem Bodenseeraum, in den Metropolen ebenso wie in den Regionen, über 100 im Künstlerbund Baden-Württemberg vertretene Künstlerinnen und Künstler zu sehen.

Schon das mehrdeutige Motto dieser Kooperation von Galerien und Künstlerbund – Die Kunst zu handeln und nicht etwa Mit der Kunst zu handeln – macht dabei deutlich, dass es bei der Zusammenarbeit nicht in erster Linie und ausschließlich um kommerzielle und merkantile Aspekte geht. Vielmehr betrifft die Kunst zu handeln alle in diesem geschlossenen System der Gegenwartskunst agierenden Personen und Institutionen. Erst indem die Künstlerinnen und Künstler handeln (arbeiten) – also ihre Werke entwickeln und realisieren –, verschaffen sie den Galeristinnen und Galeristen deren eigentliche Handlungsbasis, auf der dann die Vermittlungsarbeit gründet, ein breites Publikum – allgemein Kunstinteressierte, Sammler und Museen – zu einem ebenso überzeugten Handeln zu bewegen, um sich mit den vorgestellten Arbeiten und Positionen auseinanderzusetzen; ja, und tatsächlich auch zu kaufen. Die Vermittlungsarbeit in den Galerien (und nicht etwa nur in den Museen) ist somit vor allen Dingen die Vermittlung von Ideen, Haltungen und Überzeugungen, von künstlerischen Vorgehensweisen und verwendeten Materialien, die Vermittlung von zunächst noch Neuartigem und vielleicht Fremden, und damit letztlich auch immer von nachhaltiger künstlerischer Qualität.

Das in dieser vertrauensvollen Zusammenarbeit entstehende Miteinander – die Netzwerke von Künstlern, Galerien, Sammlern und Museumsleuten usw. – hat insbesondere in der jüngsten Vergangenheit eine immer größere Bedeutung erlangt, als uns im sogenannten Kulturbetrieb allerorten geschmacklich nivellierter Main Stream und vorformulierte Meinungsmonopole zu begegnen pflegen. Dabei mögen die durch die Lande tourenden, kalenderblattartig angerichteten Hundertwasser- und Chagall-Schauen zwar den Absatz von Motive-Memorys und bunten Seidenschals in den überladenen Merchandisingbereichen ankurbeln, mit zeitgenössischer Kunst hat das aber freilich nur mehr wenig zu tun. Monet, Cézanne, Degas, van Gogh – bei aller Liebe – sind seit geraumer Zeit schon tot, und wieviel mehr gälte es, die eigene Welt, die eigene Zeit im Licht tatsächlich zeitgenössischer, höchst lebendiger Künstlerinnen und Künstler zu entdecken (hier exemplarisch ststs), um endlich eigenen Sichtweisen und einer unmittelbaren, individuellen Wahrnehmung zu vertrauen, statt immer nur den sog. Big Names – hilflos hinterherzuhecheln.

 

In der zu dem Kooperationsprojekt erschienenen Publikation Die Kunst zu handeln, die sehr großzügig vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg unterstützt wurde, schreibt Prof. Wolfgang Ullrich – einer der prominentesten Kunstkritiker unserer Tage – so auch: „Der Handel mit Kunst lässt sich […] als ein über lange Zeit gewachsenes und stark ausdifferenziertes Feld an Techniken begreifen, mit denen es gelingt, den […] Charakter bildender Kunst […] als Grundlage starker und einmaliger Erfahrungen zu empfinden. […] Aber selbst viele Sammler sind in Interviews hilflos und überfordert, auf die Frage, was das Besitzen für sie bedeutet, eine klare Antwort zu finden. Vielleicht haben sie die Sorge, als Protzer abgestempelt zu werden, vielleicht zeigt sich daran aber auch das Fehlen einer Sprache, mit der Qualitäten des Besitzens zu formulieren wären. Äußerungen, in denen diese ausnahmsweise doch in Worte gefasst sind, müssten daher gesammelt und analysiert werden – etwa ein Statement wie das von Christian Boros, wonach ‚ich mich mehr mit der Kunst beschäftige, wenn ich sie nicht nur mental verinnerliche, sondern sie auch kaufe’. Für ihn bedeute das Ausgeben von Geld eine existenzielle Erfahrung, die ein [bloßer] Rezipient von Kunst nie machen könne, da es ‚mehr Schmerz bereitet als ein ‚interessenloser’ Museumsrundgang.’ […] Wenn Kunst als etwas Hehres und Erhabenes gilt, ist das also auch Ausdruck davon, dass Sammler den exklusiven Erwerb eines Werkes als große Leistung, gar als heroische Tat empfinden und somit rauschhafte Gefühle darauf projizieren.“

Ihnen allen, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste, wünsche ich jedenfalls heute und hier eine Menge dieser starken und einmaligen Erfahrungen, die die Arbeiten von ststs mit Sicherheit ermöglichen. Und was ist schon der von dem Berliner Sammler Boros angesprochene Schmerz (einer mehr oder weniger doch leidlich zu verschmerzenden Geldausgabe) gegen den täglichen Genuss rauschhafter Gefühle im Angesicht eines einmal erworbenen Lieblingsstückes, mit dem zusammen Sie ein ganzes Leben lang verbringen können!

Clemens Ottnad M.A., Kunsthistoriker

Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg