Um des lieben Friedens Willen

aus der Reihe: BÖTTINGER & STAUDENMÜLLER ©

Böttinger hatte sich die in Gruppentherapiesitzungen empfohlene Ruhe und Gelassenheit im Arbeitsleben, aber auch bezüglich seiner Freizeitaktivitäten, zu Herzen genommen, entdeckte aber schneller als ihm lieb war, dass ihn, wie früher, die Tagespolitik nicht unberührt ließ. Anfangs hielten die Vorsätze noch an. Hilfreich war, dass sein Diskussionspartner Staudenmüller, der vor dem Ruhestand noch etlichen Resturlaub abzufeiern hatte, nicht anwesend war. Doch eines Montags saß Reinhold Staudenmüller, den seine Kollegen entsprechend seiner Laune „Hold“ oder „Unhold“ nannten, wieder putzmunter an seinem Arbeitsplatz und konnte es, entgegen dem Anraten seiner Bürokollegen, nicht lassen, Böttinger mit dem Thema „Bischöfe stoppen Studie zu Missbrauch“ zu provozieren. Schnell entspann sich ein heftiger Dialog, in den alle, ob sie es wollten oder nicht, einbezogen wurden. Böttinger ereiferte sich dermaßen und war, wie früher schon verschiedene Male mit hochrotem Gesicht dabei, die Todesstrafe einzufordern, als das Gespräch eine völlig überraschende Wende nahm. Staudenmüller nahm seine Stimme zurück, redete in sanftem Ton und alle lauschten gebannt, als er erklärte, eine absolut friedvolle Lösung gefunden zu haben. Anfangs noch skeptisch, dann drängend, forderte die Runde seinen Vorschlag ein. Staudenmüller flüsterte:

„Um einer rechtlichen Würdigung der Missbrauchsfälle ein für alle Mal zu entgehen, müssten die Kirchen, das heißt die katholische, die evangelische, die jüdische, hindustische und andere Religions- und Glaubensgemeinschaften, alle sexuellen Ein- und Übergriffe, sowie Verstümmelungen an Menschen jeglichen Alters und Geschlechts konsequent als rituelle Bestandteile ihres Glaubens auslegen. Vergewaltigungen, Beschneidungen aller Art, wie auch die Penektonie, sowie die Liebe zu (sprich: mit) Kindern werden als religiöse Zeremonie zum unverzichtbaren Bestandteil der religiös-kulturellen Identität erklärt und somit unangreifbar, ja, sie werden zur Religionsfreiheit an sich.“

Stille. Lange Stille. Meinte Staudenmüller das ernst? „Unhold“, entfuhr es Frau Weimer und setzte der Wortlosigkeit ein Ende. „Hält man das für möglich?!“ Staudenmüllers „absolut friedvolle Lösung“ hatte eine laute Diskussion in Gang gesetzt, die erst am späten Abend mit einem Kommentar von Norbert Seidel beendet wurde: „Es ist nur konsequent“. Etliche „Ja, aber“ standen weiterhin im Raum und Möller haderte, dann könne man ja gleich alles erlauben!? Und Böttinger? Böttinger fühlte sich schon wieder abgespannt, vor allem, weil er, wie immer, Staudenmüller einfach nicht durchschaute.