Thaddäus Troll…

… wäre am 18. März hundert Jahre alt geworden.

Zeichnung: H. Bachschuster

 

Dem Troll hätte es vermutlich gefallen: Volles Haus, alles was kulturell Rang und Namen besitzt, war dabei. Vorausgesetzt, man kennt die Szene…

Zutritt ins Stuttgarter Rathaus, Großer Sitzungssaal, nicht durch den Haupteingang, nein, durch den Seiten-, beziehungsweise den Hintereinhang musste sich die Jubiläumsgemeinde schleichen. Es hatte etwas Verschwörerisches. Immerhin gleich anschließend an die traditionelle Montagsdemo gegen Stuttgart 21, deren Geist nachhaltig in die Veranstaltung hineinwehte. Die Anstifter verteilten zu Beginn Thaddäus Trolls Schwäbischen Schimpfkalender, den zu benutzen ich mir überlegte („Suchen Sie sich etwas aus!“), als ein Großteil des Publikums sich während der Musik des TRIO BRILLANCE weiter angeregt unterhielt – es war ja nichts Klassisches, nur Jazz! Banausen! Ein hinter mir sitzendes Paar bedurfte meiner Frage, ob das (mit dem Reden) den ganzen Abend so weitergehen solle, um ihre Beredsamkeit einzustellen. Oberbürgermeister Kuhn begrüßte im Stile der bei Bürgermeistern (die um ein GRUSSwort gebeten wurden) so beliebten Vor-Hauptredner-Rede (Motto: Sie werden sehen, ich habe mir ebenso viel angelesen wie das, was Ihnen nachher der Hauptredner erzählen wird…). Die überwiegende Mehrheit der Gäste waren wohl S21-Gegnerinnen und Gegner, was am verhaltenen Applaus für Kuhn und seinem (im Programm noch N.N. genannten) Nachredner, dem stellvertretenden Ministerpräsident und Finanzminister Nils Schmid, abzulesen war. Reinhard Hübsch von SWR 2 moderierte witzig, spontan und schlagfertig. So muss Kulturmoderation aussehen! Jürgen Lodemann darf hauptreden und trollt sich ans Rednerpult und fesselnd durch Hans Bayers Leben und ehrt Troll, indem er für den politischen Literaten die Frage stellt: Welchen Standpunkt hätte der Meister zu STUTTGARTEISAZWANZIG bezogen? Und kommt zu dem vielbeklatschten (wenn auch logischen) Ergebnis: Troll hätte den Schiefbahnhof abgelehnt. Dies wiederum veranlasst Eberhard Jäckel, einen vom Tisch der Dreizehn, zu einem späteren Zeitpunkt gegen die Vereinnahmung Trolls für die Tiefbahnhofgegner zu protestieren. Tochter Manuela Bayer hingegen dankt dem Rednerfreund Lodemann und stellt sich ganz und gar hinter dessen Ausführungen. So verkörpern Literatur, Humor und kritischer Geist einen vermeintlich physisch Anwesenden, nicht zuletzt durch mehrere Einspieler seiner Stimme. In der anschließenden Gesprächsrunde kommen neben Manuela Bayer und Eberhard Jäckel auch der Biograf des neuen Troll-Buchs Jörg Bischoff und der langjährige Freund und Historiker, Literat und Benefizschwätzer (wie er sich selbst nennt) Gerhard Raff zu Worten, die ein, von Hübsch trollig moderiert (will heißen, Troll hätte es nicht besser können!), umfassendes Bild des Dichters, Kulturwissenschaftlers, Politikers und Menschen Hans Bayer zeichneten, eines Vorbildes, nicht zuletzt dank seines selbstkritischen Umgangs mit seiner Rolle in der Nazizeit. Zur Freude vieler Festgäste gibt Raff einem „gewissen abgewählten Politiker“, ohne ihn beim Namen zu nennen in authentisch schwäbischer Spitzfedrigkeit, noch eine auf den Pelz. Troll als Mensch und schreibendes Arbeitstier wird in den Erzählungen der langjährigen Sekretärin Eleonore Lindenberg lebendig. Mit dem Regisseur Alfred Kirchner, der die Aufregungen, Anfeindungen, aber auch die Begeisterung um das ins Schwäbisch übersetzte Geizkragen-Thema Entaklemmer Revue passieren ließ, schloss der Abend wie er begonnen hatte: Ein Großteil des Publikums schiss auf die hervorragende Musik des TRIO BRILLANCE, indem es begann, während der Musik den Saal zu verlassen, um sich möglichst schnell und unterhaltend den Maultaschen, Butterbrezeln und dem Wein zu widmen (koscht nix!) und sich sehen zu lassen und gesehen zu werden. Zum Glück wurde an diesem Abend dem Bedürfnis mancher, sich posthum in Trolls Ruhm zu sonnen, entgegen gesetzt, dass Troll zu Lebzeiten nicht selten schwere Anfeindungen auszuhalten hatte, was mit zu seinem Freitod geführt haben könnte. Was bleibt, ist der Impuls, sich mit einem politischen Literaten auseinander zu setzen, (und es macht einen höllischen Spaß!) das Schwäbische selbstbewusst und nicht tümelnd zu pflegen und den Bayrisch-Trachtlern des Wasenfestes und dem ignoranten SWR-Fernsehen auf die Füße zu treten, um einzufordern, mehr der durchaus vorhandenen kreativen und kritische Kultur aus dem Ländle ins Schaufenster zu stellen.