Vorsorgen

Man mag noch gar nicht daran denken. Der nächste Winter kommt bestimmt. Deshalb – ein kleiner Tipp – jetzt die Frontscheibenabdeckung von Schmutz des letzten Winters befreien und ruhig auch als Sonnenschild während der heißen Tage benutzen. Das hält den kleinen Helfer geschmeidig und vermeidet in der Übergangszeit eine lästige Eingewöhnungsphase. Wichtig ist auf jeden Fall, den Frontscheibenschutz vor Beginn der Fahrt zu entfernen, da man sonst schnell den Überblick im Straßenverkehr verliert und Polizisten provoziert, Führerschein und Fahrzeugpapiere zu kontrollieren. (Irgendjemand muss den SIEBTEN SINN ja weiterführen!)

Lohn der Angst – Teil 2

Foto: Matthias Knodel. Bastian Melnyk

Bastian Melnyk zeichnet jeden Tag Comics seiner Hauptfigur Fledermaus Fürst Frederick von Flatter, genannt Fred. Dessen bester Freund ist Käfer. Dafür verbraucht Bastian Unmengen von schwarzer Tusche für den Hintergrund. Ich will hier keine Comics erzählen. Man muss sie sich anschauen und sich hinein leben und ist stets aufs Neue über den tiefgründigen und sprachlich überraschenden Witz erstaunt und kommt zur Erkenntnis, dass Schwarz-Weißmalerei extrem bunt sein kann. Bunt wie seine Sprachserien und –spiele. Er outet sich als einer, der bei Namen völlig unkreativ sei, deshalb heißen alle Protagonisten Peter. In einer weiteren Geschichte lernen wir ein Haustier namens Haustür kennen, das, wie könnte es anders sein, apportüren kann. Zungensprachakrobatisch wird es in der Petergeschichte, in der es um Petererscheinendestimmenimitatoraußerirdische geht. Nachdem sich durch täglichen Emailverkehr mit seiner Freundin, obwohl sie sich sahen, eine gewisse Langeweile entstanden war, begann er Begegnungen zu schreiben, „ich schreibe das so runter.“ Wir hören von einem Schmetterling, der mit seinem martialischen Namen nicht klar kommt und lieber ein Schmusling wäre. Oder von einem Schuh, der mit Hilfe von Käsebrötchenauflage, oder war es Brötchenkäseauflage, den Trennungsschmerz von seinem Fuß zu überbrücken versucht. Zum Schluss erfahren wir, dass Nilpferde nilwiehern, das wie lachen klingt. Bastians T-Shirt übrigens war ohne Botschaft, einfach schwarz, wie Tusche.

Foto: Matthias Knodel.

Foto: Matthias Knodel. Jan-Uwe Fitz

Schon die Ansage des letzten Letzniesers, Jan-Uwe (mit Hemd, kein T-Shirt) Fitz strotze von Superlativen. Beispiel: Fitz hat als Taubenvergraemer bei Twitter knapp unter         30 000 Follower, so viel wie die Anzahl der Einwohner Herrenbergs! Sein Blog sei eine(r) der berühmtesten (oder war’s der berühmteste, ich hab da nicht richtig aufgepasst?) Kein Wunder, denn die Lesung aus seinem Roman Ich denke, also spinn ich mit einer Hauptfigur namens Jan-Uwe Fitz, die, laut Klappentext völlig gestört ist und ständig Angst hat, gerät zu einer Bühneshow mit Dauerdialog mit dem Publikum. Er spielt seine verschiedenen Rollen in einer Intensität, Sprachgewalt und einem Witz großer Schauspieler, unterbricht sich selbst, um immer wieder auf Reaktionen, auch vermeintliche, des Publikums einzugehen. Die Frage, warum der Roman kein Roman ist, kann letztendlich nur jeder, der im Anschluss das Buch kaufte, für sich selbst klären. Und dass die Rahmenhandlung nicht zu Beginn, sondern im Buch erscheine, schob Jan-Uwe Fitz auf den Verleger. Und nicht nur einmal gibt er Lebenshilfe für ängstliche Menschen, beispielsweise im Problem, dass der Protagonist bei einer ICE-Fahrt auf den Scheitel eines Mitreisenden schauen muss, der die Kopfhaut freigibt (Ein Scheitel ist Porno), anstatt sie mit den Haaren zu bedecken. Außerdem würgt Herr Menke und läuft Amok (irrational & spontan) Und dann war noch was vom illegalen Patienten.

Nachtrag: Richtig wiesen Uli Eder und TurnieGC darauf hin, dass Jan-Uwe Fitz‘ Roman „Entschuldigen Sie meine Störung“ heißt.

Lohn der Angst? Dass die Besucher einer Netzliteratur-, bzw. Literaturnetzreihe, die sich etabliert hat, möglicherweise bis zum Herbst auf DLNVI warten müssen und so frühzeitig im Zimmertheater sein müssen, um einen Sitzplatz zu bekommen! Außerdem passt diese SPRECHSTUNDE hervorragend ins Zimmertheater, das damit in gekonnter Weise sein Portfolio abrundet, Uli Eder & Wolfgang Brenner sei Dank!

…. und meinem Kollegen & Fotografen des Abends Matthias Knodel!

Foto: Matthias Knodel.

Foto: Matthias Knodel

Lohn der Angst – DAS LETZ NIEST, die Fünfte

Foto: Matthias Knodel. Uli Eder und Wolfgang Brenner

Foto: Matthias Knodel. Uli Eder

DAS LETZ NIEST. Zum 6. Mal. Und, das NETZ LIEST! Beileibe. Es ist wie bei Harry Potter: Nur die Mutigen wagen es auszusprechen. Angrenzend an den Kulturbalkon des Zimmertheaters über sonntäglichem Freizeitvergnügen in Spürnähe des Hölderlinturmes. Hölderlin hat auch nicht jeder verstanden, soviel sei schon verraten. Leibhaftig treffen sich diejenigen, die im Web ihre Journale oder Logbücher veröffentlichen, also die Blogger. (Soviel Info darf sein, denn es soll ja Menschen geben, die sich erst für diese Art der Literatur zu interessieren beginnen) Merke: Man darf der oder die Blog sagen! Ebenso interessierte sich das Literaturarchiv Marbach und fragte beim Dia Blogger Uli Eder nach, ob denn der NICHTS BLOG und weitere (Uli, ergänze bitte!) archiviert werden dürften. Aber sicher doch, es ist eine Ehre. Die Platzhirsche vom Dia Blog, von WIDL, Nichtsblog, Laubenpieper, um nur ein paar zu nennen, Uli Eder (Mössingen und Tübingen) und Wolfgang Brenner (lebt und arbeitet in Berlin) eröffneten traditionell den Reigen, um zuerst die Buchwerdung der WER-IST-DIR-LIEBER Bildungsreihe kund zu tun: und diese selbdritt. Ja, Bildungsreihe, denn neben der ganz eigenen Grafik, die in genialer Weise vereinfacht, um karikaturhaft das Wesentliche zu zeichnen und gleichzeitig mit auf den Punkt gebrachten Personenbeschreibungen zu unterhalten. Ursprünglich, erfuhr das Publikum, war WIDL als Buch gedacht, wurde als Blog dann „tierisch bekannt“, was die Macher dann dazu bewog, das Buch zu machen („Absoluter Partykracher“, wirbt Wolfgang). Uli natürlich im WIDL-T-Shirt, das gelegentlich  bei Rätseln als Preis ausgelobt wird. (Nein, nicht seins). Im Übrigen spielen T-Shirts eine gewisse Rolle bei DAS LETZ NIEST („DNL“ im Folgenden).

Foto: Matthias Knodel. Uli Eder und Wolfgang Brenner

Wolfgang Brenner trug: „Curb your Enthusiasm“ (Ich musste auch erst nachschauen, was das heißt)  Als gewählter Schriftführer einer Laubenkolonie oder einer Kleingartenanlage, wie man bei uns sagen würde, nimmt er uns bei der Hand, beschreibt die Angst (Thema des Abends) der Laubenpieper (Bezeichnung der Menschen, die Schrebergärten, Lauben, Parzellen oder Kleingartenanlagen betreiben) vor den Eisheiligen, (deren es, laut meinem Rabenkalender, fünf gibt. Mamertus heißt derjenige, den kaum einer kennt.), um uns dann in eine Abfallgrubendiskussion einzubeziehen, die der Schriftführer mit dem Vorschlag eines „Mülltonnenmoratoriums bis zum Frühjahr“ streitschlichtete. Um Wolfgang, nennen wir ihn sicherheitshalber „Kuhle Wampe“  in seinem Verein nicht als Petze auffliegen zu lassen, seien die Ergebnisse seiner Protokollanalyse, die bis in die ausgehenden 80erjahre des letzten Jahrhunderts reichten, nicht im Detail erzählt. Wolfgang Brenners Heckenschau erzählt mit großem Witz, ohne Häme über seine Gartenfreunde auszuschütten.

Uli Eder, dialektisches Pendant (Dia Blog!) zu Wolfgang Brenner ängstigt uns mit einer aufreibenden Jagd nach einem Ferienjob in der Jugendzeit. (Übrigens ein Phänomen, dass mit reifendem Alter die Reflexion der jüngeren Jahre zunimmt) Es beschreibt die Begegnung eines jungen Mannes (er selbst) mit dem Brachialschwäbischen eines Bauhofchefs auf der Alb, die von Uli Eder derart gekonnt intoniert wurde, dass sich Nebensitzer Brenner, der die Story noch nicht kannte, im wahrsten Sinne des Wortes, schier wegschmiss, wenn Eder den Alfons seiner Geschichte „Du Granada-Radladerfahrer“ gewittern lässt. Das spricht eindeutig für Live-Vortrag, oder zumindest zur Nutzung des bewegten Bildes, des Films.

Und somit wären wir bei MISCHGEMÜSE, die auf ihrem gleichnamigen Blog schon deutlich per Film angekündigt hatten, analog gehen zu wollen. Jedoch verweigerten sie konsequent, den Schritt aus dem Netz in die Realwelt zu tun, indem sie ihre Netzanonymität wahrten, zumindest, was ihre bürgerlichen Namen betrifft, wie auch Interpretationen ihrer Dosengemüse-Verkaufsschau. Mit „3 Jahren kam Meter Mütze zur Welt, zuvor entwickelte er in der Gebärmutter seiner Mutter die Urlaubsbilder der Nachbarschaft. In Passbildgröße natürlich. Inzwischen verbringt er in Tourette de Mar seinen Lebensabend.“ Das fand ich hier. Soweit zu Meter Mütze, dessen Nachname vermutlich ein Künstlername ist und der seine hanseatische Sprachfärbung entweder mitbekommen oder erlernt hat. Esteban von Spanien hat wiederum seinen wohl deutschen Vornamen Stefan clever dem adeligen Nachnamentitel angepasst. So harmonieren die Beiden bereits in einer Literatur der Namen, wie auch im Zusammenspiel mit einem Fankreis, der in einer vermutlich gut einstudierten Choreografie an den richtigen Stellen lacht und somit dem Rest des Publikums hilft, sich in einer komplexen, keineswegs oberflächlichen Literatur nonsensischer Dia- und Monologe zurecht zu finden, oder war es zu Recht zu finden? Der Fankreis war parteiisch, aber das sei ihm zugestanden. Diese Eigenschaft wohnt Fankreisen inne. Schon das Opening, in dem sie mit Hilfe eines roten Henkelkorbes und einer erklecklichen Anzahl von Single-Gemüsekonserven Farbe ins Spiel brachten, setzte sich inhaltlich konsequent im Beitrag Blau soll unsere Farbe sei – Blau an sich fort. Der traditionelle Fragedialog der Organisatoren an die Blogger, eingeleitet durch die Frage nach der Herkunft ihres Namens Mischgemüse, führte zur konsequenten Irritation. Antwort: „Wir würden auch in einem Brunnen tanzen.“ Wolfgang Brenner schließt sein Interview mit den Worten „Wir wussten nicht, was uns erwartet“ und setzte sich. Meter Mütze rappt, doziert, nuschelt über den Erfinder von Schirm, Mütze und Dreitagebart, stellt Jakob vor, der Merchandising dabei hat, erwartet keine Anrufe, sondern Antworten, ergänzt von Esteban, dem es um Kunst geht, nur um Anspruch. Sie spielen sich gekonnt die Sprachseifenblasen zu, die zerplatzend, das Publikum mit Gedanken-, Zeitsprüngen auf dem schmalen Grad zwischen Begeisterung über sprachliche Finessen und totalem Unverständnis balancieren lassen. Zwischen Eure Welt ist uns zu wenig, dem Wächter des ewigen Brummkreisels und kein Amor für deine schwachen Stunden.  Es endet in ihr kapiert das nicht, und dann look an feel, wir sind was wir darstellen. Unklar blieb letztendlich nur der Text von Mützes T-Shirt, da die darüber getragene Jacke nur Ausschnitte zuließ. Estebans T-Shirt? Irgendwas ist da zugepixelt, aber, seht selbst.

Foto: Matthias Knodel. Links: Esteban, rechts: Meter

Foto: Matthias Knodel.